Sonntag, 13. Oktober 2013

The Blackening

Bitte schaurige Orgelmusik, diesen berühmten Blitz-Sound und ein irres Lachen einblenden.


So, danke, dann können wir jetzt ja loslegen. Heute geht es um einen schaurigen Brauch, dem junge Ehemänner in spe auf Orkney ausgesetzt werden: THE BLACKENING!
Huhu ... gruselig ...

Hierzulande kennt man ja auch allerhand seltsame Dinge, die man mit Eheleuten anstellen kann, aber meist müssen die es entweder nach der Hochzeit ausbaden (Wohnung in Klopapier einpacken, Baum mit Klapperstorch im Garten aufstellen, usw.) oder wenn sie es nicht geschafft haben eine Frau / einen Mann zu bekommen, bis sie 30 sind (Treppenstufen putzen, etc.).

Aber auf Orkney ist man der Meinung, wenn da schon einer den Markt an jungen Frauen um ein Exemplar ärmer machen muss, dann soll er auch gefälligst dafür büßen.

Und das geht so: Die freunde des Ahnungslosen (zumindest was den Zeitpunkt anbelangt, denn es muss wohl jeder dran glauben) lauern ihm auf, reißen ihm die Klamotten vom Leib und übergießen ihn mit einem schwarzen Gebräu, das möglichst gut klebt und möglichst gut färbt. Dann wird er irgendwo auf einem fahrbaren Untersatz festgebunden und durch die Stadt gekarrt, bis man das Meer erreicht und er dort Sommers wie Winters "gewaschen" wird. Ach so: Und man macht natürlich einen Haufen Lärm dabei.

Wieder ein gefundenes Fressen für einen Volkskundler wie mich, schließlich gibt es hier einige Themen, die zusammenkommen: Erstens das Übergangsritual. Das kennt man aus anderen Gruppen, bei denen die Neulinge erstmal durch den Dreck gezogen werden oder jeden Scheiß mitmachen müssen, bevor sie mitmachen dürfen. Hier läuft's ein wenig anders, denn das Jungrudel verstößt den Abtrünnigen (durch Teeren und Federn).
Krach machen: Eh klar. Je mehr Krach, desto besser. Ist eine Grundregel.
Im Meer versenken: Hier könnte man sich auf alte Waschungsriten beziehen, aber ich tippe eher auf die Mafia, nur dass man den Zement weglässt.

Und wer darf die Sauerei danach wieder wegmachen? Die Frau, ist ja eh klar ...

Gibt's eigentlich auch ein Gegenstück für zukünftige Bräute? Mit Parfüm und Schminke übergießen vielleicht? Ich mein ja nur so als Anregung. Ach so, nö, die machen das Gleiche auch mit Frauen. Alles klar ...

Montag, 7. Oktober 2013

Up Helly Aa - Karneval meets Wagner



Up Helly Aa ist ein Feuerspektakel / Fest / Faschingsumzug auf Shetland, das Monty Pythons „Die Ritter der Kokosnuss“ entstiegen zu sein scheint. Immer am letzten Dienstag im Januar (außer es ist gerade Krieg, die Grippe ausgebrochen oder ein Regierungsoberhaupt gestorben) rotten sich die Eingeborenen der Insel (beim Festival Guizer genannt) in Wikinger- und anderen Kostümen zusammen, um gemeinsam mit ihrem Jarl den Nachbau eines Langboots nach Walhalla zu schicken.

Und darüber können sämtliche Klöster an den Küsten Englands und Frankreichs heilfroh sein, denn wenn die Kerle da oben weniger pyromanisch und mehr kleptomanisch veranlagt wären, dann könnten sie inzwischen mit einer Flotte von über 90 Langbooten auf Beutefang gehen.
Wahrscheinlich wissen sie gar nicht, auf welcher strategischen Goldgrube sie da oben sitzen. Langboote + kompakte Shetlandponys = perfekte Voraussetzungen für Hit & Run zu Wasser und an Land.
Und auch touristisch wird das Ganze zum Glück noch nicht übermäßig ausgeschlachtet, aber wehe wenn jemand auf den Trichter kommt, dass man mit „burn your own ship“- Bastelsets aus Balsa viel Geld verdienen kann.

Überhaupt bietet die Kombination von Feuershow + Militärparade + Wikingerfest tausende Möglichkeiten, wie man alle vom Reenactor bis zum kölschen Jeck, der net genuch von de Kaarneval krieschen kann, glücklich macht. Es wird gegessen und gesungen, getrunken und getanzt. Der darauf folgende Mittwoch ist übrigens klugerweise ein Feiertag und ich möchte wetten, dass die Geburtenrate auf Shetland Ende November besonders hoch ist.

Aber genug herumgeblödelt, als alter Volkskundler muss ich hier natürlich noch ein wenig was über Objektivationen und Subjektivationen, emisch und etisch und so weiter erzählen, damit ihr was lernt. Wie bei allen Traditionen, die sich auf etwas beziehen, was sehr alt ist (in dem Fall die Wikinger) darf man nichts glauben, was einem da so erzählt wird. Skandinavisches Kulturerbe ehren, den Winter vertreiben, heidnische Bräuche wiederaufleben lassen: alles Quatsch.
Meist beginnt so was mit irgendwelchen Jungs, denen langweilig ist. In Lerwick junge Burschen, die angeblich brennende Teerfässer durch die Gassen gerollt/gezogen haben, was die Stadtoberen gar nicht so lustig fanden. Vielleicht hat sich deshalb ein schlauer Kopf gedacht: Geben wir ihnen doch was zu tun und lassen sie den Winter über was Großes bauen, sagen wir ein Wikingerschiff. Das können sie dann meinetwegen vor der Stadt verbrennen, da stört das keinen. Gesagt, getan und jetzt machen sie das nachweislich schon seit 1906.

Außerdem gibt es so ein paar entlarvende Hinweise, auf denen Volkskundler gerne herumreiten: Es dürfen nur Männer mitmachen. Sie halten dabei lange Fackeln (Phallussymbole) in der Hand, die sie in ein an beiden Enden spitz zulaufendes Langboot (Vaginasymbol) werfen. Viele verkleiden sich dabei als Frauen oder schleppen Sexpuppen mit. Und dann die Doppeläxte und die Ausstattung der Wikinger, die Richard Wagner auch nicht besser hinbekommen hätte: Helme mit Rabenfedern, blitzendes Chrom und martialische Tierfelle wohin man auch schaut. Harr harr! Einen guten Schuss Bier und Wiski darüber gießen, ein paar Spottverse auf Politiker und Funktionäre dichten und schon ist die Abendunterhaltung perfekt.

Wer es lieber eine Ecke kleiner und „authentischer“ haben möchte, der wird zum Beispiel beim „Burning the clavie“ fündig, allerdings ohne Wikinger. Oder ihr startet euer eigenes Feuerfestival. Es muss ja nicht gleich Burning Man sein, aber Krach machen + Essen + sich bewegen + irgendwas anzünden geht im Winter immer.

Ich hab übrigens keine Ahnung, was "Up Helly Aa" bedeuten soll. Hat jemand einen Vorschlag?

Von http://www.flickr.com/photos/vickyb/5393133253/sizes/o/in/photostream/

Der Guizer Jarl. Im Hintergrund die "Bill" mit Anweisungen und ordentlich Spott
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Der Jarl und sein Boot vor dem Start nach Walhalla
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