Mittwoch, 19. November 2014

Ness of Brodgar 2014

Kaum wird das Wetter hier herbstlich farblos und feucht, bekommt man beim Gedanken an Orkney feuchte Augen. Auch dort packt man jetzt die Touristen in Watte, lagert sie in luftdichte Kisten, damit man sie nächstes Jahr wieder frisch auf die Sehenswürdigkeiten loslassen kann - oder zumindest so ähnlich.

Aber noch was anderes hat sich getan: Die Ausgrabungen am Ness of Brodgar wurden fortgesetzt. Wer will, kann sich das im Grabungstagebuch, das sechs Wochen lang lief, hier ansehen: http://www.orkneyjar.com/archaeology/nessofbrodgar/2014/07/dig-diary-monday-july-14-2014/

Wer dazu zu faul oder des Englischen nicht so mächtig ist, bekommt von mir eine Zusammenfassung. Das Vorwissen, was am Ness of Brodgar geboten wird, setze ich mal voraus. O. K., ein wenig Grundwissen ist vielleicht doch nicht schlecht:
In der Jungsteinzeit war Orkney ein Knotenpunkt des Handels und der Religion. So was wie die Wallstreet, wenn sie in Jerusalem liegen würde. Außerdem war das Klima gut und man konnte es sich leisten weniger zu arbeiten und dafür mehr zu bauen, zu verehren, zu gestalten, zu handeln und sich auszudenken.

Daraus resultierte ein Zentrum am heutigen Ness of Brodgar, an dem es alles gab, was man damals so brauchte: Zeremonialbauten, das Tafelsilber der damaligen Zeit (aus gebranntem Ton), Spezialwerkzeuge, einen Farbenladen, Gimmicks (Axtköpfe 2.0 und so was) und jede Menge zu essen. Was man damit dort so gemacht hat, weiß man nicht, aber es ging ziemlich rund. Die Gebäude wurden über Jahrtausende hinweg genutzt und schließlich bewusst zerstört. Und wie! Man hat hunderte von Rinderknochen gefunden, die wohl alle gleichzeitig aufgebrochen und deponiert wurden. Man muss sich ein Gelage von gewaltigen Ausmaßen vorstellen, von dem tausende von Menschen satt wurden. Die haben sich vollgefressen, die Rinderknochen (nur die Schienbeine und einen einzigen Schädel) zeremoniell deponiert, mit Rotwild abgedeckt und dann alles unter massenhaft Erde begraben. Kann sein, dass sie keine Lust mehr auf diesen Steintempel hatten, als die Bronzezeit heraufgezogen ist, kann sein, dass die Anhänger einer neuen Religion gekommen sind und gesagt haben: "Diesen ganzen Blödsinn mit den heiligen Kühen haben wir sowas von satt, wir machen den Laden jetzt dicht!"

Keiner weiß es ... Aber mit jedem Zentimeter, den die Archäologen weiter ins Erdreich vorstoßen, kommen mehr Fragen ans Licht, die vielleicht auch zur ein oder anderen Antwort führen.
Also auf zur Grabung des Jahres 2014.

Nick Card, der Grabungsleiter hatte für die Saison 2014 wieder die Bodenfunde der Strukturen 1, 10 und 14 auf die Tagesordnung gesetzt. Besonders interessant war dabei der einzelne Stein im Zentrum, der damit wahrscheinlich auch das Zentrum des neusteinzeitlichen Kultes bildete. Struktur 12 sollte vollständig ausgegraben und ein paar neue Gräben gezogen werden, die mehr über den Ort an sich verraten.

Außerdem Ziel: Graben T im Südosten, der vertieft werden sollte, um zu klären, ob hier der größte historische Müllhaufen ganz Großbritanniens lag oder ein weiteres Gebäude darunter verborgen liegt.

Aber erstmal war Auspacken angesagt. Die Grabung wurde den Winter über durch Planen und Sandsäcke geschützt, die jetzt wieder weg mussten. Und das war nicht nur anstrengend, sondern auch manchmal ekelig. In den Sandsäcken war früher Fischmehl und die Reste gammeln fröhlich vor sich hin ...

Mit dem Verfall haben auch die Knochen und sogar die Steine zu kämpfen, die man hier findet. Im Graben T tauchte zum Beispiel ein Stück Rinderschädel auf, der einem gewaltigen Tier, vielleicht sogar einem Auerochsen, gehört haben muss.

Bisher sind etwa 10 % der Fläche ausgegraben und das auch nicht vollständig. Noch immer ist man nicht in der Fläche auf dem Niveau des ursprünglichen Bodens angekommen, aber immerhin zeigen einzelne Stichgräben, dass die Mächtigkeit zwischen ca. 1 und 3 Metern liegen kann und man an einigen Stellen nur noch wenige Zentimeter von der Basis entfernt ist.

Schon in der Steinzeit gab es die verschiedensten Werkzeuge für jede Art von Bedarf. Von der Wegwerfklinge, die man eben mal schnell aus Feuerstein schlägt bis zu fein bearbeiten Messern, die wie ein Fleischerbeil ohne Griff aussehen und "Shetland Knifes" genannt werden. Viele der Spachteln aus Stein, die gefunden wurden, dienten wahrscheinlich der Bearbeitung von Ton. Und über einen Mangel an Ton konnten sich die Archäologen wirklich nicht beschweren. Auch hier gab es die verschiedensten Formen (unter anderem Gefäße, die so aussehen sollten als wären sie aus einem anderen Material), manche mit aufwändiger Verzierung und für die praktische Verwendung völlig ungeeignet.

Außerdem war die Steinzeit bunt. An den Mauersteinen konnten Pigmente nachgewiesen werden, die z.B. in Schlangenlinien die Wände schmückten. Ansonsten waren in den Stein geritzte Winkel, Dreiecke und "Schmetterlinge" in Mode. Hin und wieder auch eingeklopfte Wellenmuster.

Auch bei den Steinen unterschied man zwischen praktisch und schön. So tauchte ein polierter, roter Stein auf, der sich kaum von einem unterschied, den man vor ein paar Jahren gefunden hatte. Der Verwendungszweck ist unbekannt.
Ein anderer Stein scheint hingegen als mobiler Amboss gedient zu haben. Grob würfelförmig ist er oben flach und an den seiten konkav - genau richtig um ihn sich zwischen die Knie zu klemmen und etwas darauf zu bearbeiten.

Eine weitere Kategorie stellen zerbrochene Beile dar, die man wahrscheinlich absichtlich zerstört hat, denn man findet immer nur die vordere Hälfte. Wenn man wüsste, wo das Hinterteil abgeblieben ist, könnte man vielleicht auch sagen, in welchen Kontext man die Zerstörung setzen sollte.

Aber man wird ja auch noch in den kommenden Jahrzehnten fleißig am Ness of Brodgar graben ...